Back to the Future? Das CO2 Problem und die Zeit bzw. warum wir nicht einfach alle Emissionen aus der Atmosphäre saugen können

Die Entfernung von Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal bzw. CDR) ist das "Netto" in "Netto-Null-Emissionen". Alle vom IPCC bewerteten Wege, um die globale Erwärmung auf 1,5-2°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, erfordern eine schnelle Dekarbonisierung. Sie erfordern jedoch auch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre ("negative Emissionen"), da wir die Kohlenstoffemissionen nicht vollständig in den erforderlichen Zeiträumen beseitigen können.

Schwer zu dekarbonisierende Industrien wie die Luft- oder Schifffahrt oder die Landwirtschaft werden auch in den optimistischsten IPCC Szenarien große THG Emittenten bleiben. Residuale Emissionen bedeuten, dass wir kein Null-Emissionsziel erreichen können und dahingehend Carbon Dioxide Removal notwendig ist. In der Menschheitsgeschichte hieß das bislang vor allem Aufforstung bzw. Erhalten von Bäumen und Böden. Doch das neue, aktive Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre und die folgliche Speicherung im Boden, im Ozean oder in neuen Produkten kann dauerhafter sein.

IPCC Carbon Dioxide Removal
Derzeit gründen sich zahlreiche Unternehmen, die verschiedene CDR-Techniken als Klimaschutzlösungen versprechen. Andere Firmen kaufen vermehrt Carbon Credits - zumeist Investitionen in das Pflanzen von Bäumen oder andere zukünftige CDR Kapazitäten - als Teil ihrer aktuellen Dekarbonisierungsverpflichtungen.

Kontext: Die Zeitmaschine

Die vier geplanten amerikanischen Regional Direct Air Capture Hubs für 3,5 Milliarden US-Dollar sollen mit jeder Anlage eine Million Tonnen CO2 pro Jahr absaugen können. Global wurden im Jahr 2022 rund 40,5 Milliarden Tonnen CO2 emittiert. Bei dieser Rate würde jede CDR Anlage mit voller Auslastung für jedes Betriebsjahr die Atmosphäre um rund 13 Minuten zurückversetzen. Jedoch wird - bei gleich bleibenden Emissionen - in diesen 13 Minuten ein weiteres volles Jahr CO2 in die Atmosphäre abgegeben.

Würden unterdessen alle Menschen auf der Erde einen Baum pflanzen - in Summe 8 Milliarden Bäume - würden wir bei ausgewachsenen Bäumen jedes Jahr etwa 43 Stunden in der Zeit zurückgehen. 

Ohne Dekarbonisierung wirklos

Entscheidend ist die erfolgreiche Dekarbonisierung über alle Wirtschaftszweige innerhalb der nächsten 20-30 Jahre.

Wenn wir die globalen Emissionen auf etwa 10 % des aktuellen Niveaus - ca. 4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr - reduzieren, wäre eine Direct Air Capture Anlage mit einer Million Tonnen eine Zeitmaschine, die uns etwas mehr als 2 Stunden statt 13 Minuten zurückbringt. Zu diesem Zeitpunkt würde es 4.000 Anlagen erfordern, um in einem bestimmten Jahr den Netto-Null-Zustand zu erreichen.  Vorausgesetzt die Anlagen werden vollständig durch erneuerbare Energien betrieben.

Nature.com: Carbon dioxide removal is not a current climate solution — we need to change the narrative

Auf dem Laufenden bleiben: CDR Technologien

Anfang des Jahres 2023 veröffentlichten die Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford und das Berliner Klimaforschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change den weltweiten ersten State of CDR Report.

So ist die die Menge wissenschaftlicher Literatur zu CDR von 1990-2021 schneller als die Forschungen zum Klimawandel insgesamt (19 % p.a. vs. 4 % p.a.) gewachsen und umfasst über 28.000 englischsprachige Studien. Die meisten konzentrieren sich auf landbasierte biologische CDR Methoden wie Pflanzenkohle und Kohlenstoffbindung im Boden.

Wenngleich keine allgemeingültige Definition zu Carbon Dioxide Removal existiert , gelten 3 Prinzipien basierend auf IPCC Berichten:

  • Grundsatz 1: Das eingefangene CO2 muss aus der Atmosphäre stammen, nicht aus fossilen Quellen. Die CDR Aktivität kann atmosphärisches CO2 direkt oder indirekt einfangen, zum Beispiel über Biomasse oder Meerwasser
  • Grundsatz 2: Die anschließende Speicherung muss dauerhaft sein, sodass CO2 nicht unmittelbar wieder in die Atmosphäre gelangt (genauer Zeitrahmen von Dauerhaftigkeit umstritten, mindestens mehrere Jahrzehnte)
  • Grundsatz 3: Die CO2 Nettoentfernung muss das Ergebnis menschlicher Intervention sein, zusätzlich zu den natürlichen Prozessen der Erde

CDR muss von anderen Konzepten wie Carbon Capture and Utilisation (CCU) und Carbon Capture and Storage (CCS) unterschieden werden. Obwohl CCU und CCS einige Komponenten mit CDR gemeinsam haben, führen sie nicht notwendigerweise zu einer dauerhaften Nettoentfernung von CO2 aus der Atmosphäre.

Carbon Capture ≠ Carbon Dioxide Removal

Carbon Capture and Storage (CCS) ist eine Reihe von industriellen Methoden zum Einfangen von CO2  durch Abscheidung und Speicherung eines hochkonzentrierten Stroms an CO2. Wenn dieses CO2 direkt aus fossilen Brennstoffen oder Mineralien (z.B. Kalkstein) stammt, erfüllt dieser Prozess nicht Grundsatz 1 und zählt als Emissionsreduktion anstelle von CDR. Tatsächlich wird der Begriff CCS manchmal nur für diese Anwendungen verwendet. CCS kann jedoch auch auf CO2 Ströme angewandt werden, die aus Biomasse oder direkt aus der Luft erzeugt werden. In diesen Fällen erfüllt der gesamte Prozess sowohl Grundsatz 1 als auch Grundsatz 2 und zählt als CDR. Korrekterweise spricht man von "fossilen CCS", um es von CCS als Bestandteil von CDR-Methoden zu unterscheiden.

Carbon Capture and Utilisation (CCU) ist eine Reihe von industriellen Methoden zur chemischen Erfassung von CO2 und dessen Umwandlung in Produkte. Zu diesen Produkten können kohlensäurehaltige Getränke, Kraftstoffe, Kunststoffe, Düngstoffe und mehr gehören. Wenn das CO2 aus der Atmosphäre stammt, erfüllt es Grundsatz 1. Viele dieser Produkte halten jedoch nur einige Tage oder Monate, bevor der Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt wird. Nur einige beinhalten dauerhafte Speicherung und erfüllen somit Grundsatz 2. Wenn das eingefangene CO2 aus fossilen oder mineralischen Quellen stammt, zählt dies erneut als (vorübergehende) Emissionsreduktion anstelle von echtem CDR.

Die schwierige Debatte um Biomasse

Biomasse ist prinzipiell eine attraktive Ressource für kosteneffektive, dauerhafte Entfernung von Kohlendioxid. Durch Photosynthese gelingt es COaus der Atmosphäre zu entziehen, um wertvolle Nebenprodukte wie Wasserstoff, Strom oder Biokoks zu produzieren. Diese Nebenprodukte können dazu beitragen, die Kosten für die Kohlenstoffentfernung aus Biomasse effektiv zu subventionieren, sowie die mit der heutigen Produktion dieser Produkte verbundenen fossilen Brennstoffemissionen zu verdrängen.

Doch wenn es besteht die Gefah in einer Welt zu enden, in der wir die Fehler von Maisethanol wiederholen: indirekte Landnutzungsänderungen und Entwaldung. Somit würde der Kohlenstoff von einem stabilen Speicher in einen anderen verlagert werden.

Climate Frontier hat einen Leitfaden "Sustainable Biomass Sourcing" mit einem Entscheidungsbaum im April 2024 veröffentlicht